„Jedes Museumskonzert war ein Highlight“
Nicht weniger als 150 Werke von 50 Komponisten hat Sebastian Weigle in seiner Zeit als Künstlerischer Leiter der Museumskonzerte präsentiert und gewichtige persönliche Akzente in der großen Sinfonik des 19. und 20. Jahrhunderts gesetzt. Im Gespräch schaut er auf 15 überaus erfolgreiche Jahre zurück.
Wie fühlen Sie sich vor Ihrem letzten Museumskonzert als künstlerischer Leiter?
Sebastian Weigle: Ich fühle mich sehr gut. Es ist immer ein herrliches Arbeiten in Frankfurt. Mit dem Wissen darum, dass es das letzte Konzert ist als Generalmusikdirektor und Künstlerischer Leiter der Museumskonzerte kommt natürlich das berühmte lachende und weinende Auge dazu. Das lachende sieht das Leben, das mir künftig mehr freie Zeit und Raum bietet wie ich es mir vorstelle. Das weinende sieht dieses fantastische Opern- und Museumsorchester, das ich mit Sicherheit vermissen werde. So ein Orchester müssen Sie erst einmal finden. Wie sich die Mitglieder in dieser Gesamtheit geben, wie sie miteinander menscheln, neugierig sind, immer mit dem Drang, besser zu werden. Das ist außergewöhnlich, und das werde ich sicherlich vermissen.
Bei ihrem Abschlusskonzert steht Bruckner auf dem Programm: Die neunte, unvollendet gebliebene Sinfonie mit dem Te Deum als Chorfinale. Warum haben Sie dieses Programm ausgewählt?
Erst hatte ich ein Stück wie die Achte Mahler im Kopf. Aber im laufenden Opernbetrieb ist es für uns nicht darstellbar, so eine gigantische Sinfonie mit einzubauen – in dem Qualitätsmaßstab, in dem ich mir das vorstelle. Dann habe ich an Abschied gedacht und mir gesagt, die dem lieben Gott gewidmete Neunte Bruckner, das klingt doch sehr schön. Mir kam dabei sofort in den Sinn, das Te Deum als Chorfinale anzuschließen. Wir haben ja seit vielen Jahren diese herrliche Tradition mit den Frankfurter Chören, und so ist es für mich mehr als nur eine willkommene Geste, dass sie mir für dieses Projekt ihre Freizeit schenken und mich sozusagen mit Musik gemeinschaftlich „hinausbegleiten“.
Es ist den vier Chören sicherlich ein großes Anliegen, sich auf diese Weise von Ihnen verabschieden zu können. Sie haben mit Ihnen ja große Werke der Chorsinfonik umgesetzt. Gab es denn irgendeine Saison ohne Konzert mit den vier großen Chören?
Das kann nur der Pandemie geschuldet sein, da fiel die Carmina Burana aus. Ich würde sagen, es gab jedes Jahr ein Konzert. Das wollte ich aber auch ausdrücklich. Die Chorsinfonik ist ein großes Steckenpferd von mir. Viele große Projekte sind mir in Erinnerung geblieben. „Das Buch mit sieben Siegeln“ von Franz Schmidt zum Beispiel. Das war eine riesige Aufgabe – aber einfach sehr, sehr schön. Und die wunderbaren Messen, oder „Die Schöpfung“…. Solche Projekte machen einfach Laune und sie bringen ja auch den Chören sehr viel.
Wenn wir beim Zurückblicken sind, welche Erinnerungsbilder aus den vergangenen 15 Jahre kommen denn bei Ihnen hoch?
Was ich als besondere Erinnerung behalte, ist die Uraufführung des Stücks „Impetus“ von Daniel Schnyder, bei dem das Streichquartett meines Bruders, das Artemis Quartett, dabei war. So etwas ist natürlich einzigartig. Auch das Sonderprojekt mit Daniel Barenboim mit beiden Liszt-Konzerten oder die Uraufführung eines Stücks von Motschmann mit der „klassischen Band“ Spark, das war auch eine große Herausforderung.
Sie haben in den Museumskonzerten 150 Werke von 50 Komponisten präsentiert, die großen Werke von Mahler, Strauss, Tschaikowsky als Zyklen. Ist so ein stattliches Konzertverzeichnis der Segen einer so langen, kontinuierlichen Arbeit?
Ja natürlich und vor allen Dingen, dass das alles nicht nur meine Steckenpferde sind, sondern dass die Programme auch Wunsch und Steckenpferd des Orchesters waren. Strauss war ja selbst in Frankfurt und wenn man in solchen Traditionen steckt, gibt es immer wieder jemanden, der sagt, „ wir müssten doch eigentlich das mal machen ….“ Ich habe in der ersten Zeit Ideen vom Orchester gesammelt, was sie gerne mal spielen wollen. Dass daraus ein Strauss-Zyklus entstanden ist, dass sich Dieter Oehms, der Labelgründer von OehmsClassics, für uns interessierte, er immer schwärmte, dass wir ein richtiges Strauss-Orchester seien und er mit uns die Konzerte aufnehmen wolle, das ist für mich nicht nur eine angemehme Erinnerung, es erfüllt mich auch mit Stolz: Das ist mein Orchester, das sind wir, das haben wir geschaffen.
Man kann Ihnen dafür ein großes Kompliment aussprechen. Aus meiner Sicht gibt es keine besseren Strauss-Aufnahmen.
So ein Kompliment nehme ich gerne an. Das ist natürlich auch das Ergebnis von Kontinuität und einer kontinuierlichen Art von Orchester-Erziehung: Dass man immer wieder erinnert, dieser Klang entsteht durch diese Technik. Oder wenn diese Note nicht lange gehalten wird, passiert das, oder wenn wir das Fortepiano in allen Gruppen gleich behandeln, entsteht plötzlich ein ganz anderer Klang. Das ist eine sehr gute Art zu arbeiten, manchmal vielleicht ein bisschen anstrengend, aber wie gesagt, das wollen auch die Musiker so.
Unter Ihnen wurde das Orchester mehrfach als Orchester des Jahres ausgezeichnet. Sehen Sie dies auch als Gewinn dieser langen Zusammenarbeit?
Ob es einen Zusammenhang gibt, weiß ich nicht. Über so einen Titel, auch wenn er mehrere Jahre hintereinander kommt, urteilen ja andere Leute. Ich mache meine Arbeit nicht, weil dafür eine Auszeichnung winkt oder sage, wir müssen jetzt dran bleiben, damit wir diesen Titel nicht verlieren. Davon bin ich weit entfernt. Wir machen unsere Arbeit, und manchmal sind die Strecken für das Orchester unheimlich belastend: wenn mehrere schwere Opern hintereinander zu spielen sind, dazu noch ein Museumskonzert und aufgrund der Planung in drei Wochen vielleicht schon das nächste … Ich ziehe den Hut vor den Musikern, dass sie ihre Motivation nicht verlieren und dass sie auch bei größter Belastung immer noch solch wunderbaren Ergebnisse zaubern, wenn das Licht in der Oper ausgeht oder im Konzert auf der Bühne an.
Wie hält man denn die Spannung so lange Zeit? Es besteht ja auch die Gefahr, dass sich Abläufe einschleifen.
Es ist einfach eine Kontinuität. Ich verstehe meine Arbeit wie im althergebrachten Kapellmeister- Sinn. Bei den Produktionen bin ich möglichst von Anfang bis zum Ende dabei und entwickle mit dem Regisseur das Stück. Auch bei Konzerten haben wir eine Kontinuität. Von der ersten Probe bis zum letzten Konzert spielen dieselben Musiker, denen ich meine Idee zu einem Stück vermittle. Wenn wir alle auf denselben Zug aufspringen, wird es ein herrlicher Abend. Man muss dranbleiben, Dinge hinterfragen und verstehen: Warum klappt der Übergang nicht? Sollte man hier vielleicht was wechseln? Das muss für alle so verständlich wie möglich werden, damit alle dieselbe Idee spüren. Dafür bin ich anwesend, bleibe bei einer Pause öfter mal ein bisschen länger sitzen, habe ein offenes Ohr. So baut sich ein gemeinsames Projekt auf. Wir haben ein ziemlich großes Vertrauensverhältnis.
Wenn man Abschiedsinterviews führt, wird gerne nach den unvergesslichen Situationen und Highlights gefragt. Gibt es das überhaupt?
Highlights sind und waren für mich die Museumskonzerte. Jedes einzelne. Das kann ich schon ganz klar so sagen. Der Klangkörper, mit dem ich zusammengewachsen bin, mit dem ich am meisten zu tun hatte, ist das Frankfurter Opern- und Museumsorchester.
Was würden Sie Ihrem Orchester zum Abschied zurufen?
Macht weiter so! Und meinem Nachfolger wünsche ich sehr viel Glück und Freude.
Und was dem Frankfurter Publikum?
Bleiben Sie gesund, bleiben Sie neugierig und vergessen Sie nicht, dass ein live gespieltes Konzert die größten Emotionen vermitteln kann.
Sie bleiben in Frankfurt wohnen. Ist das nur eine strategische Entscheidung wegen des Flughafens, um schnell nach Japan oder New York zu kommen?
Nein, ich bin ziemlich gut angekommen hier, habe ein gutes Netzwerk. Bei einem Umzug müsste man das alles neu aufbauen. Dazu habe ich weder Zeit noch Geduld, weil mein Kalender bis 2025 ziemlich voll ist mit großen Engagements und mit Japan natürlich auch. Der Vertrag mit meinem Orchester in Tokio geht ja noch bis 2027 (Anm. als Chefdirigent des Yomiuri Nippon Symphony Orchestra Tokio)
Welche Projekte stehen in nächster Zeit an?
Ich freue mich sehr auf die Premiere der Pique Dame im Frühjahr 2024 an der Deutschen Oper Berlin und natürlich besonders auf die weitere Zusammenarbeit mit meinem japanischen Orchester. Ich liebe Japan, bin vier, fünf Mal im Jahr da und kann mir gut vorstellen, auch einmal zwischen zwei Projekten länger da zu bleiben und zu reisen.
Für alles, was kommt, wünschen wir Ihnen alles Gute und sagen Danke, Adieu und bis bald, Sebastian Weigle.
Interview: Anita Strecker