Thomas Guggeis, Dirigent
Kontrapunktische Meister
„Glaubenssinfonie“, „Katholische Sinfonie“, „Tragische Sinfonie“, „Pizzicato-Sinfonie“ – erstaunlich viele Beinamen hat sich die Nachwelt für Anton Bruckners Fünfte einfallen lassen, und für jeden dieser Beinamen mag es gute Gründe geben. Das Werk steckt voller Rätsel und markiert zugleich eine Wende in Bruckners Schaffen. Schon allein von der Dauer her sprengt es den Rahmen aller früheren Sinfonien, einschließlich Bruckners eigener Dritter und Vierter. 75 Minuten dauert eine Aufführung, sofern man sich nicht die gnadenlosen Kürzungen zu eigen macht, die Bruckners Zeitgenossen für erste Aufführungen vornahmen. Bruckner selbst soll die Sinfonie als sein „kontrapunktisches Meisterstück“ bezeichnet haben – und in der Tat gipfelt der Finalsatz in eine gigantische Doppelfuge, die beeindruckend die sinfonischen Klangmassen in kunstvollsten kontrapunktischen Überlagerungen zusammenführt. Bruckner gegenübergestellt wird Bach, der unbestrittene Meister des kontrapunktischen Satzes, allerdings mit einem seiner spielfreudigsten, weniger kontrapunktischen Werke: dem ersten Brandenburgischen Konzert. Der populäre Titel entstand zwar erst 150 Jahre nach der Komposition des Zyklus, aber in der Tat hat Bach diese Six Concerts Avec plusieurs Instruments dem Markgrafen von Brandenburg gewidmet. Das erste Konzert steht ganz in der barocken Concerto-Grosso-Tradition und lässt immer wieder einzelne Orchesterinstrumente solistisch aus dem Tutti hervortreten.